AG Bonn, Az: 109 C 348/14, Urteil vom 23.06.2015
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten die Vergütung für eine Eintragung in das elektronische Branchenverzeichnis „g.de“ geltend.
Die Klägerin ist Inhaberin eines Unternehmens, welches die geschäftliche Bezeichnung „Verlag für virtuelle Dienste“ trägt. Dieses befasst sich mit Firmenverzeichniseinträgen im Internet.
Die Beklagte ist Inhaberin der „Glas und Gebäudereinigung N1.
Am 01.09.2014 um 11:54 Uhr erhielt der Ehemann der Beklagten für diese ohne vorangegangenen Kontakt mit der Klägerin einen Anruf, dessen Inhalt streitig ist. Um 12:00 Uhr erhielt der Ehemann der Beklagten einen weiteren Anruf von Herrn U als Mitarbeiter der Beklagten. Dieses Telefonat wurde mit Einverständnis des Ehemanns der Beklagten aufgezeichnet. Herr U ließ sich vom Ehemann der Beklagten eine Auftragserteilung zur entgeltlichen Eintragung der Glas- und Gebäudereinigung der Beklagten in das Branchenverzeichnis „g.de“ zum Preis von 495 EUR netto (589,05 EUR brutto) für die Laufzeit von 12 Monaten bestätigen. Der Ehemann bestätigte auch auf Nachfrage, dass er befugt sei, diesen Auftrag zu erteilen sowie die Richtigkeit der Rechnungsadresse. Herr U verwies auch auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Verlages für virtuelle Dienste. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift des zweiten Anrufes Bezug genommen (Bl. 16 d.GA.).
Aus § 2.2. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Verlages für virtuelle Dienste ergibt sich, dass ein kostenpflichtiger Eintrag in das Firmenverzeichnis erst durch Bestätigung in einem zweiten Telefonat zustande kommt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Verlages für virtuelle Dienste Bezug genommen (Bl. 25 d.GA.).
Die Klägerin trug die Beklagte in ihrem Branchenverzeichnis ein.
Die Klägerin übersandte noch am 01.09.2014 die Rechnung über die vereinbarte Vergütung. Mit Schreiben vom 16.09.2014 und 24.09.2014 mahnte die Klägerin den offenen Rechnungsbetrag unter Fristsetzung bis zum 27.10.2014 an.
Mit Schreiben vom 16.10.2014 wies die Beklagte die Forderungen der Klägerin zurück und erklärte hilfsweise die Anfechtung des mit der Klägerin geschlossen Vertrages wegen arglistiger Täuschung.
Mit Schriftsatz vom 12.05.2015 erklärte die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung gegenüber etwaigen Forderungen der Klägerin mit einem behaupteten Schadensersatzanspruch vor dem Hintergrund eines unerbetenen Werbeanrufs (sogenannter „Cold Call“).
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 589,05 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.10.2014 sowie weitere 10,00 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass sich der Anrufer beim ersten Anruf als Mitarbeiter von „Google“ ausgegeben habe und nicht als „Verlag für virtuelle Dienste“ bzw. „g.de“, um bei ihrem Ehemann den Irrtum über die wahre Identität des Anrufers hervorzurufen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Klägerin gegen die Beklagte ursprünglich ein Anspruch auf Zahlung von 598,05 EUR gemäß § 611 Abs.1 BGB zustand. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob die wettbewerbsrechtliche Verbotsnorm des § 7 Abs. 2 Nr. 2 Var. 2 UWG ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist (so LG Bonn, Urteil vom 05.08.2014 – 8 S 46/14 -, juris). Denn der etwaige Anspruch der Klägerin ist jedenfalls mit der als solches zu verstehenden rechtsvernichtenden Einwendung dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est gemäß § 242 BGB erloschen. Der Beklagten steht zumindest ein von dem Bestehen der klägerischen Forderung abhängiger, gegenläufiger eigener Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe aus § 823 Abs. 1 BGB zu.
Hierbei handelt es sich auf Grund der Abhängigkeit im Bestand voneinander um den dolo-agit-Einwand (vgl. Staudinger-Gursky, Vorb. §§ 387 ff. BGB, Rn. 98; MünchKomm-Schlüter, § 387 BGB, Rn. 59).
Die Klägerin hat die Beklagte in ihrem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt, indem jene diese ohne Veranlassung anrief. Diese Rechtsgutsverletzung setzt sich in dem Vertragsschluss fort, sodass der Beklagten ein Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe zustand.
Die Klägerin hat mit dem unerbetenen ersten Anruf am 01.09.2014 um 11:54 Uhr das Rechtsgut des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs der Beklagten verletzt.
Denn der unerbetene Anruf ohne vorherige Einwilligung des Adressaten stellt einen unmittelbaren Eingriff in den Gewerbebetrieb dar. Davon ist auszugehen bei Eingriffen, die gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen (BGHZ 29, 65, 74; 69, 128, 139; 86, 152, 156). Unverlangt erfolgende Werbeanrufe beeinträchtigen regelmäßig den Betriebsablauf des Unternehmens. Mit dem Entgegennehmen und Auseinandersetzen unerbetener Anrufe ist ein zusätzlicher Arbeitsaufwand verbunden. Zwar kann sich der Arbeitsaufwand für Entgegennehmen und Auseinandersetzen mit unerbetenen Anrufen in engen Grenzen halten, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass es sich um Werbung handelt. Anders fällt die Beurteilung aber aus, wenn es sich um eine größere Zahl unerbetener Anrufe handelt oder wenn ausdrücklich weiteren Anrufen widersprochen werden muss. Mit häufigen Werbeanrufen ohne vorherige Einwilligung des Empfängers durch verschiedene Absender ist aber immer dann zu rechnen, wenn der einzelne Anruf zulässig ist. Denn im Hinblick auf die billige, schnelle und durch Automatisierung sowie Call-Center-Betriebe arbeitssparende Akquisemöglichkeit ist ohne Einschränkung des „Cold Callings“ mit einem immer weiteren Umsichgreifen dieser Werbeart zu rechnen (vgl. BGH zur unerbetenen E-Mail-Werbung, Urteil vom 11.03.2004 – I ZR 81/01 – und Beschluss vom 20.05.2009 – I ZR 218/07 -, jeweils juris). So führte auch der BGH aus, dass „für einen Gewerbetreibenden die Gefahr besteht, in seinem Geschäftsbetrieb durch eine Vielzahl ähnlicher Telefonanrufe empfindlich gestört zu werden.“ (vgl. BGH 20.09.2007 I ZR 88/05; juris).
Der Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin ist auch rechtswidrig.
Die insoweit erforderliche Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien geht zu Lasten der Beklagten aus. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG stellt jede Werbung gegenüber einem Nichtverbraucher ohne dessen zumindest mutmaßliche Einwilligung eine unzumutbare Belästigung dar. Diese gesetzgeberische Wertung ist bei der Beurteilung der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuches ebenfalls heranzuziehen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (BGH, Beschluss vom 20.05.2009, aaO). Wegen des unzumutbar belästigenden Charakters derartiger Werbung gegenüber dem Empfänger ist der Anruf ohne vorherige mutmaßliche Einwilligung grundsätzlich rechtswidrig. Die Beklagte hat gegen das Verbot unzulässiger Telefonwerbung nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG schuldhaft verstoßen, denn bei dem Erstanruf der Klägerin handelte es sich um einen unzulässigen so genannten „Cold Call“, und hierdurch kausal und zurechenbar bei der Beklagten einen Schaden in Höhe des sie treffenden Vergütungsanspruchs verursacht.
Da eine ausdrückliche Einwilligung der Beklagten als Gewerbetreibende und damit sonstige Marktteilnehmerin im Sinne des UWG nicht vorlag, war der unstreitig erfolgte Werbeanruf nur dann zulässig, wenn eine mutmaßliche Einwilligung der Beklagten angenommen werden konnte gemäß § 7 Abs.2 Nr. 2 UWG. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Vorliegen einer mutmaßlichen Einwilligung ist anhand der Umstände vor dem Anruf sowie anhand der Art und des Inhalts der Werbung festzustellen. Die mutmaßliche Einwilligung muss sich auch auf die Art der Werbung, nämlich mittels Telefonanruf, beziehen (Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, 32. Aufl. 2014, § 7 Rn. 163). Maßgeblich ist, ob der Werbende bei verständiger Würdigung der Umstände annehmen durfte, der Anzurufende erwarte einen solchen Anruf oder werde ihm jedenfalls aufgeschlossen gegenüberstehen (BGH GRUR 2007, 607; 2008, 189; BGH GRUR 2010, 939; Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, 32. Aufl. 2014, § 7 Rn. 163). Ist dies zu verneinen, so kommt es grundsätzlich nicht mehr darauf an, ob der Anruf zu einer sonstigen Belästigung oder zu einem Vertragsschluss geführt hat (BGH GRUR 2007, 607). Denn für die lauterkeitsrechtliche Bewertung ist auf die Umstände vor dem Anruf abzustellen (vgl. Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, 32. Aufl. 2014, § 7 Rn. 163). Es ist also zu fragen, ob ein konkreter, aus dem Interessenbereich des Anzurufenden herzuleitender Grund vorliegt, der den Werbeanruf rechtfertigen könnte (BGH GRUR 2001, 1181, 1183). Das bezieht sich sowohl auf die Art der Werbung, nämlich mittels Telefonanruf, als auch auf den Inhalt der Werbung (vgl. Köhler/Bornkamm-Köhler, UWG, 32. Aufl. 2014, § 7 Rn. 163). Gerade bei Werbeanrufen in denen es über die Eintragung in ein Verzeichnis oder eine Suchmaschine geht, dürfte kein erweitertes Interesse bestehen, denn gerade bei konkurrierenden Verzeichnissen von jeweils geringer Marktgeltung ist ein Werbeanruf in aller Regel unerwünscht (vgl. Fezer/Mankowski, UWG 2010 Band 2 § 7 Rn. 165; s. insgesamt LG Bonn, aaO).
Nach dieser Maßgabe durfte die Klägerin nicht von einem mutmaßlichen Interesse der Beklagten am Erhalt des Angebots der Klägerin zum entgeltpflichtigen Eintrag in ein elektronisches Branchenbuch auf telefonischem Wege ausgehen. Allein die Tatsache, dass ein Unternehmen im Internet in anderen Verzeichnissen zu finden ist bzw. auftritt, stellt kein Indiz für eine mutmaßliche Einwilligung an weiteren Angeboten dar. Die Beklagte wäre sonst erheblicher Belästigungen ausgesetzt, wenn alle Anbieter von Verzeichnissen sich ohne Einholung einer ausdrücklichen Einwilligung sich bei ihr telefonisch melden. Des Weiteren hätte die Klägerin vorliegend auch per Post den Kontakt zur Beklagten aufnehmen können. Auch ist zu beachten, dass es sich bei dem Angebot der Klägerin um ein solches handelt, wie es vielfach im Internet mit zum Teil deutlich geringeren Gebühren und deutlich größerer Breitenwirkung aufzufinden ist, was auch der Klägerin bei Anruf bewusst gewesen sein muss. Dass schließlich tatsächlich ein Vertrag geschlossen wurde, kann demgegenüber nicht als Indiz dafür herhalten, dass die Beklagte mit dem hier maßgeblichen Erstanruf mutmaßlich einverstanden war, denn der Vertragsschluss im kurz darauf erfolgten zweiten Anruf beruhte letztlich auf Grundlage und vor dem Hintergrund der Überrumpelung durch den ersten Anruf, vor welcher § 7 Abs. 2 UWG gerade schützen will (vgl. LG Bonn, aaO).
Diese Rechtsgutsverletzung setzt sich in dem daraufhin erfolgten weiteren Anruf am 01.09.2014 um 12:00 Uhr fort. Denn die Telefonate lassen sich weder zeitlich noch inhaltlich voneinander trennen. Vielmehr handelt es sich um zwar durchaus mehrere Verhaltensweisen, die allerdings räumlich-zeitlich so eng miteinander verbunden sind, dass das gesamte Tätigwerden objektiv als ein einheitliches und zusammengehöriges Tun erscheint und sich auch, wie sich aus den Aufzeichnungen des zweiten Telefonates ergibt, inhaltlich und zweckgerichtet auf den Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages bezieht. Das zweite Telefonat begann 6 Minuten nach Beginn des ersten Telefonates und bezog sich gleichermaßen auf den Abschluss des Vertrages zur Eintragung der Firmendaten der Beklagten im Online-Verzeichnis der Klägerin „g“ für die Laufzeit von 12 Monaten zum Preis von 495,00 EUR netto.
Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung wird zugelassen, da die Frage, ob in gleichgelagerten Fällen Einwendungen der Kunden der Klägerin gegen die Vergütungsforderung bestehen, noch nicht abschließend geklärt ist und auch das Landgericht Bonn in der zitierten Entscheidung die Revision zugelassen hat.
Der Streitwert wird auf 589,05 EUR festgesetzt.